Yesvember von Lilly Hirst, Klasse 9a

 Wald, Laubknirschen, Windheulen deine glänzenden Augen, ich lasse mich in ihn reinfallen, in ihn, den schönsten Moment, die warme Umarmung seines Lächelns. Als würde der Tag nie enden, laufen wir an diesem grauen Tag durch den Wald, es wirkt zumindest so, jedoch fühle ich 10000 Farben, 10000 Gedanken doch bleiben wir beide stumm, manchmal ist Stille ein ganzer Roman, Stille jedoch volle Stille, voll im Sinne von belebt. Blätter fallen braun, gelb, orange Farben, die eigentlich eher vergänglich sind, doch mit dir hier sehe ich nur Leben, Leben in diesem kalten November. Die starren, trockenen Baumwipfel fangen an zu tanzen im Rhythmus zum Klopfen eines Buntspechtes. Du bringst mir das Licht, die Erlösung dieses endlosen Wettlaufs, bei dir bin ich, du machst diesen November zu meinem „Yesvember“ Yes! Ja, ja. Du hier und der triste Wald. Wir zu dem schönsten Ort meiner Vorstellung. Ich weite meine Hand aus um ein braunes, gemustertes Blatt zu fangen, der Tau zeigt mir sein und mein Lächeln, dies ist er: Mein wundervoller, einzigartiger Moment. Der Wind zerrt an uns doch das beirrt uns nicht weiter. Wir gehen stark Hand in Hand weiter, dem Zug der Sonnenstrahlen entgegen. Dem Licht der Unendlichkeit zu, jedoch stört uns das nicht, wir leben in diesem Atemzug der Sekunde, an der eine Nuss vom Baum fällt. Ich möchte nicht denken was später passiert, weil dies mich vermutlich von diesem atemberaubenden, magischen Moment einschränken könnte. Wir kommen an einem See vorbei, die Spiegelung seiner Silhouette lässt mein ganzes Herz erstrahlen, die Spaltung des gebrochenen Lichts und die Verzweigung einer alten Weide lassen diesen Augenblick wie ein Gemälde wirken. Ein Gemälde der Vorstellungskraft, mein Gemälde gezeichnet von uns zwei, stillstehenden Personen. Jetzt sind wir ganz befreit, befreit von unserem Umfeld, dem Stress, der aktuellen Lage. Wir gegen den Rest der Welt. Ich schließe meine Augen und bin unheimlich für diesen befreienden, Moment dankbar. Ich fang an zu lachen, ein Lachen der Freude, der unendlichen Entspanntheit und der Hoffnung, dass alles so bleibt. Du fängst mich, weshalb ich lache, ich erwidere, dass ich alles hier habe, was man brauch zum glücklich sein, ich bin so dankbar für alles. Dann fängt er auch an zu lachen, ein tiefsinniges, herzliches weites Lachen. Jetzt ist November endgültig mein Lieblingsmonat.

Die Begegnung von Franziska Behrens, Klasse 9a

Ich sehe Kaya an. Sie schaut zurück und lächelt. „Erzähl mir deine Geschichte“, bitte ich. „Meine wahre Geschichte oder die die die Menschen hören wollen?“ „Nein, deine wirkliche Geschichte. Was dich eben aus macht.“ „Naja ich glaube, wenn man Krebs hat sieht man die Welt mit anderen Augen. Ich meine nicht durch einen traurigen Schleier oder die Hektik der Menschheit, sondern man sieht unter die Oberfläche. Man nimmt plötzlich Dinge wahr, die sonst vom Chaos der Welt verschluckt werden. Dinge, die man nur sehen kann, wenn man ganz genau hinsieht“. Sie deutet auf einen Schmetterling, der gut getarnt auf einer Pflanze über meinem Kopf sitzt. Ich drehe mich um und entdecke einen braunen, ziemlich langweiligen Falter. Ich schaue wieder zu Kaya. Sie verdreht die Augen und deutet noch mal auf den Punkt über meinem Kopf. Ein wenig genervt drehe ich mich erneut um und staune. Der Schmetterling, welcher eben noch so uninteressant aussah, hat nun seine Flügel geöffnet und offenbart mir sein schillerndes Inneres. Nur mit Mühe kann ich meinen Blick abwenden. Kaya lacht über meinen halb verwunderten, halb faszinierten Gesichtsausdruck und ich fange ebenfalls an zu lachen. Es ist ein befreites lautes Lachen, wie ich es schon lange nicht mehr von mir gehört habe. Eine Weile lachen wir uns also über die Einstirnigkeit der Menschen kaputt, bis Kaya zwischen zwei Lachern meint „dieser Schmetterling ist ein guter Vergleich.“ „Zu wem?“, frage ich während ich langsam versuche mich wieder zu beruhigen. „Naja, zu der Welt, aber auch zu uns Menschen“ antwortet sie. Der letzte Rest Lachen ist nun aus ihrem Gesicht verschwunden und sie wird wieder ernst. „Ich glaube Menschen sind wie dieser Schmetterling. Von außen sehen wir oft nur eine Schale, eine Art Schutzschild. Aber wenn sich diese Schale öffnet, offenbart sich uns eine andere Welt. Wir lernen die wirkliche Person kennen, nicht die die man vorgibt zu sein. Aber dieser Vorgang braucht Zeit. Wir werden nur selten auf einen Menschen treffen der sich und von Anfang an so zeigt wie er ist. So etwas braucht Vertrauen und Vertrauen muss wachsen wie eine Pflanze. Ich blicke auf meine Schuhspitzen. Das kenne ich nur zu gut von mir selbst. Ich ziehe mich oft zurück, bin still und schüchtern. Auch mein Selbstvertrauen muss noch wachsen. Ich bin nicht gerne abhängig von anderen. Dazu fehlt mir eben das Vertrauen. Sie könnten mich fallenlassen, wie das schon so viele Menschen getan haben. Jetzt sehe ich mir meine Schuhe genauer an. Sie sind alt, löchrig und eigentlich schon viel zu klein, aber ich kann mich einfach nicht von ihnen trennen. Sie gehörten mal meiner Mutter und wahren ursprünglich wunderschön. Lederstiefel mit hübschen Ornamenten und kleinen Absätzen. Meine Mutter gab sie mir kurz vor ihrem Tod und ich ziehe sie seither nur zum Schlafen aus. Ich glaube, ich hatte einfach Angst sie zu vergessen oder Ähnliches. Mittlerweile weiß ich, dass ich immer einen Teil von ihr in meinem Herz bei mir tragen werde, aber die Schuhe trage ich trotzdem noch. Sie gehören einfach zu mir, auch wenn sich meine Zehen schon schmerzhaft bemerkbar machen. Der Tod meiner Mutter ist schon zwölf Jahre her, aber seitdem haben mich viele Menschen verlassen. Ich hatte eine beste Freundin, doch als sie merkte, dass ich immer depressiver wurde, ließ sie mich einfach stehen, obwohl ich sie gerade in dieser Zeit am meisten gebraucht hätte. So habe ich gelernt meine Gefühle für mich zu behalten und mich nur noch selten zu öffnen. Ich bekam Angstzustände und hatte schlimme Albträume. Ich stecke bis heute noch bis zum Versinken in diesen Träumen fest und sehen die Welt nur noch in Grau. Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch und sehe auf. Kaya ist aufgestanden. Sie steht vor mir und streckt mir ihre Hand entgegen. Ihre Körpersprache ist eine stumme Aufforderung. Ich ergreife ihre Hand und sie zieht mich von meinem Felsen hoch. Zusammen nähren wir uns vorsichtig der Steilkante und blicken auf das Wolkenfeld vor uns. Es ist wunderschön und ein leichter Wind lässt meine Haare fliegen. Unwillkürlich muss ich lächeln. November ist einfach die schönste Jahreszeit. Ich fühle mich frei und obwohl es nicht gerade warm ist, macht mir die Kälte nichts aus. Auf Bergen geht es mir immer so. Hier kann ich alles vergessen. Das mein Vater die Last mich und meine Geschwister zu versorgen vermutlich bald erdrückt hat oder dass wir schon wieder nicht genug Geld haben. Berge geben mir das Gefühl hoch über meinen Problemen zu schweben und ein wenig Pause von der wirklichen Welt zu bekommen. Kaya scheint es ähnlich zu gehen, denn sie hat die Augen geschlossen und schaut verträumt auf das Wolkenfeld vor uns. „So stelle ich mir den Himmel vor“, sagt sie leise. Ich kenne Kaya noch nicht lange. Um ehrlich zu sein erst seit ein paar Tagen. Ich habe sie hier an meinem Lieblingsplatz getroffen wie sie in den Himmel gestarrt hat, als würde sie irgendetwas suchen. Ich bin auf sie zugegangen und haben sie gefragt ob sie etwas vermisst und sie meinte sie würde sich nur die Wolkenbilder ansehen. Ich weiß auch nicht was mich in diesem Moment geritten hat, normalerweise halte ich mich diskret im Hintergrund, aber irgendwas an Kaya hat mich in ihren Bann gezogen. Kaya versteht mich besser als Irgendjemand, dass jemals konnte. Sie gibt mir nicht das Gefühl ich wäre ein bemitleidenswertes Etwas. Ich bewundere sie für ihren Mut und ihre Stärke, die sie trotz ihrer Krankheit hat. Sie hat nicht diese Schwere, die ich von kranken Menschen kenne, sondern strahlt einen inneren Glanz aus, den ich wahrscheinlich nie verstehen werde. Obwohl ihre Tage sicherlich gezählt sind geht sie dahin als hätte sie noch eine Ewigkeit. „Warum bist du nicht so?“ frage ich. „Wie denn?“ „Keine Ahnung, so traurig, niedergeschlagen. Vielleicht depressiv.“ „Hm, eine gute Frage.“ Sie dreht sich zu mir um und sieht mich an. In ihren braunen Augen kann ich mein Spiegelbild sehen. „Ich glaube, weil ich ganz einfach keinen Grund dazu habe. Das Leben ist ein Kreislauf. Wir werden geboren und wir sterben. Es gehört dazu und ich sterbe einfach ein bisschen früher als andere. „Weshalb kämpfst du nicht?“, frage ich vielleicht ein wenig energischer als nötig. Kaya zögert kurz, bevor sie antwortet „Weißt du, man kann gegen sein Schicksaal ankämpfen, aber manchmal ist dieser Kampf wie das Anrennen gegen einen Sturm, der ohnehin schon alles zerstört hat. Oder man nimmt es an. Nach und nach lernt man damit zu leben und entdeckt nach einer Zeit vielleicht die kleinen versteckten Vorzüge, die dieses Schicksaal bringt. „Welche Vorzüge denn?“, frage ich und so langsam werde ich wütend, dass Kaya das einfach so annimmt. „Man sieht einfach alles anders. Man fängt an hinter jedem Menschen eine Geschichte zu sehen und die Welt wird so viel bunter. Bei mir z.B.: hat sich meine Fantasie so viel mehr ausgeprägt. Fantasien können die Welt zu einem besseren Ort machen. „Meine Mum hat gekämpft und sie ist trotzdem gestorben,“ sage ich und merke wie Tränen in mir aufsteigen. Kaya macht einen Schritt auf mich zu. Sie fragt nicht nach, sondern nimmt mich einfach in den Arm. Das ist noch so etwas, was ich an ihr toll finde. Sie kann es akzeptieren, wenn sie nicht alles kennt. „Ach Lou,“ sagt sie sanft „der Krebs ist ein Teil von mir. Ich nehme ihn an. Nur deshalb kann ich nachts ruhig schlafen. Deine Mutter wird immer ein Teil von dir sein. Da draußen gibt es etwas, wo sie auf dich wartet. Ganz bestimmt,“ fügt sie zuversichtlich hinzu. Ich schniefe und schöpf wieder Zuversicht. Ich möchte gerade etwas erwidern, als ein Donnern mich unterbricht. Ich blicke hoch zu dem bereits wolkenverhangenen Himmel und plötzlich fängt es wie aus Kübeln an zu regnen. Ich möchte Kaya schon zu der kleinen Höhle ziehen, in der ich mich bei schlechtem Wetter immer verkrieche, doch sie hält mich zurück. „Lass uns tanzen“, sagt sie. Ich drehe mich um. „Was?“ frage ich verwirrt. „Lass uns tanzen“, wiederholt sie. „Glaub mir, dass wird etwas verändern.“ Noch immer ein wenig verwirrt ergreife ich die Hand, die sie mir entgegenhält. Und wir tanzen zu einem nicht existierenden Takt, zu einem nicht existierenden Lied. Der Regen durchnässt unsere Kleidung, aber die Nässe stört mich nicht im Geringsten. Im Gegenteil, der Regen wäscht die Angst und Verzweiflung in mir weg und gibt mir etwas von dem ich nicht wusste, dass es mir bisher gefehlt hat. Eine Wärme strömt durch meinen Körper und erst jetzt erkenne ich, dass es das reine Glück ist. Die Welt wird wieder farbenfroh und ich erkenne einen Ort voller Möglichkeiten, Wege und Phantasien. Es ist mir auf einmal egal was morgen ist, denn jetzt lebe ich den Moment und diese Momente sind so unbeschreiblich das ich sie in meinem Herzen einschließe und für immer behalte. „Wie ist das nur möglich?“ rufe ich in die inzwischen dunkle Nacht, doch niemand antwortet. Da ist nur eine Stimme in meinem Kopf, die sagt: „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die selbst wir nicht verstehen. Nach jedem Tief folgt irgendwann auch wieder der Aufstieg. Manchmal versteckt er sich nur vor uns, oder wir müssen ihn eine Weile suchen. Das kommt ganz auf uns selbst an. Höre auf dein Herz denn es kennt den Weg.“ Ich sehe in die rabenschwarze Nacht doch anstatt nur Dunkelheit sehe ich jetzt Geschichten und Bilder. Sie erzählen mir etwas Unbekanntes aber ich habe keine Angst mehr. Ich habe sie angenommen und in etwas Neues verwandelt. Das ist mein Yesvember. Entschlossen mache ich einen Schritt, bis der Wald mich verschluckt hat.